Die Sprecherbranche und das Tauziehen mit der KI

KR-Stimmen

Wird meine Stimme bald unbrauchbar?
Die Sprecherbranche und das Tauziehen mit der KI

Sprecher*innen begleiten uns unser gesamtes Leben. Sie geben uns Tipps, was wir einkaufen sollen, sorgen dafür, dass wir fremdsprachige Filme verstehen, ermöglichen Menschen mit Sehbehinderung, Filme und Theaterstücke erleben zu können, führen uns durch Dokumentationen, erzählen uns Geschichten…
Manche davon sind so einprägsam, dass wir sie unser Leben lang nicht mehr vergessen.

Es hat sich eine Branche gebildet um die Stimme, eine große Branche mit vielen Verzweigungen. Und jetzt gibt es da plötzlich eine künstliche Intelligenz, die Sprache imitieren kann. Genau wie andere Branchen, insbesondere in der Kreativszene, fragen auch wir uns: Was bedeutet das? Sind unsere Jobs gefährdet? Verlieren wir jetzt das, was wir uns ein Leben lang erarbeitet haben und was wir lieben?

Es gibt da verschiedene Ansätze und Wahrnehmungen. Hier einige Thesen, die wir vertreten und Beobachtungen, die wir gemacht haben:

Informiert zu bleiben, ist gerade das Allerwichtigste.

Den Kopf in den Sand zu stecken, ist jetzt auf jeden Fall die falsche Haltung. Wir stehen da keiner Supermacht gegenüber, die uns einfach die Jobs kaputtmacht. Stattdessen gilt es, zu beobachten, wie und wo KIs eingesetzt werden, wie sie uns nutzen können und wo sich echte Gefahren auftun. Wir wissen Stand jetzt noch nicht, wie sich alles entwickeln wird. Dennoch sollte man jederzeit in eigener Sache argumentieren können, um potenzielle Kund*innen von sich zu überzeugen – und das geht nur, wenn man wirklich gut Bescheid weiß, womit wir es gerade zu tun haben.

Netzwerken und Lobbyarbeit zahlen sich jetzt aus.

Es ist an uns, zu beweisen, dass wir besser sind als die KI. Wir haben Ansprache gelernt, wir sind emotions- und empathiefähig. Und nicht nur auf der Rezipient*innenseite der von uns gesprochenen Produkte sind Menschen, sondern auch auf der „Hersteller*innen“-Seite. Hier geht es nach wie vor um einen Austausch Mensch zu Mensch. Und nur Menschen können Menschen wirklich berühren. Und damit kommen wir zum nächsten wichtigen Punkt:

Menschliche Stimmen sind wirkungsvoller als KI-generierte.

Neurowissenschaftlerin Dr. Claudia Roswandowitz hat in ihrer jüngsten Studie, die hervorragend im Podcast „Wir müssen sprechen“ besprochen wird, erforscht, wie das menschliche Gehirn auf Deepfake-Stimmen reagiert. Ihre Erkenntnis ist, dass das Belohnungssystem im Gehirn der Rezipient*innen durch KI-generierte Stimmen nicht so aktiviert wird, wie durch Stimmen. Wer also möchte, dass seine Botschaft einen bleibenden Eindruck hinterlässt, der sollte die Arbeit uns Profis überlassen… 😉
Und mit dieser Haltung sind wir nicht allein.

Wir sitzen alle in einem Boot.

Nicht nur unsere Branche ist betroffen und wehrt sich gegen den allzu leichtfertigen Einsatz künstlicher Intelligenzen, auch in vielen Bereichen der Kreativwirtschaft werden Grenzen gesetzt und Kommunikationsstrategien entwickelt, um dafür zu sensibilisieren, dass menschliche Arbeit zwar gerne durch KIs erleichtert werden kann, aber nicht um jeden Preis.

Trends sind Trends.

Nach dem Digitalkamera-Hype wurde das analoge Fotografieren wieder „in“.
Nachdem jahrelang das Smartphone in jeder Hand- und Hosentasche steckte, kommen gerade wieder die Handys der frühen 2000er zurück, die praktisch keine Funktionen anbieten, außer Telefonieren, SMS-Versand und Snake spielen.
Für Autor*innen werden „Schreibgeräte“ angeboten, die nur fürs Schreiben konzipiert sind, um Ablenkungen durch Mails und andere Programme zu vermeiden.
Das sind nur drei Beispiele merklicher Trendwenden in der letzten Zeit.
Soll heißen: Fast immer, wenn eine technische Sensation auf den Markt kommt, ist der Hype erst groß und ebbt dann kontinuierlich ab. Darauf sollte man sich keineswegs ausruhen, aber wir finden den Gedanken tröstlich, dass es mit der Nutzung KI-generierter Inhalte ähnlich laufen könnte.

Lasst uns hoffen, dass es so ist – und trotzdem mit aller Kraft dranbleiben.

Denn laut sein, das können wir ja.

Lilian Wilfart


Lilian

ist Geschäftsführerin von [rezonant], gemeinsam mit Katja Dziadzka. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Sprecherin und Sprechtrainerin.
Am Puls der Zeit zu bleiben, bedeutet für sie gerade auch, viel Zeit in die Auseinandersetzung mit KI in der Sprecher*innenbranche zu investieren.